Natura Naturata

Mit Natura Naturata ist jener umfangreichste Teil des Gesamtwerkes von Marielis Seyler betitelt, welches sich in besonderer Weise dem Thema Natur (Flora und Fauna)- Kunst – Mensch widmet und verschiedene Serien und Zyklen umfasst. Begonnen in den späten 1980er Jahren, basiert es auf der analogen Fotografie, die sie in profunder Weise an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien erlernte.

Ihre Arbeiten zeichnen sich durch eine besondere Nähe zu den jeweiligen Sujets aus. Dies ist einerseits bereits durch die Fotografie bedingt (Henry Fox Talbot bezeichnete die Fotografie als „Zeichenstift der Natur“), andererseits durch die direkte Einbeziehung von verschiedenen Naturelementen und Naturfarben, durch die sie die Fotografie thematisch und ästhetisch erweitert. Mehr noch: Indem die Künstlerin immer wieder ihre Fotografien etwa durch Einbeziehung der Witterung der Natur aussetzt, wird sie, die Natur, selbst unmittelbarer Mitgestalter des künstlerischen Werkes. Es erzählt nicht bloß von ihr, sondern es ist per se eine Epiphanie der Natur selbst. Damit wird auch ein großer Bogen zur Philosophie der Romantik geschlagen, wo der Diskurs darüber eröffnet wurde, ob die Natur das uneinholbare Vorbild für die Kunst oder die Kunst die Vollendung von Natur sei.

Die vielschichtigen Werke von Marilies Seyler erzählen behutsam von der Verwundbarkeit und der Verletztheit der Natur und der Notwendigkeit ihrer Behütung. Der Mensch steht nicht mehr über der Natur, sondern muss sich selbst wieder als Teil der Natur begreifen. Die künstlerische Auseinandersetzung wird derart zu einem Königsweg zur Natur. Noch mehr: Angesichts der gigantischen anthropozentrischen Vernichtung von Natur und ihrer Vielfalt von Flora und Fauna wird die Kunst zu einem Ort ihrer Behausung, zu einer Arche Noah für die Natur.

Carl Aigner